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Rekordstreik endet - und eskaliert: Nach einem halben Jahr geben die Streikenden in Espenhain auf

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Rekordarbeitskampf bei SRW in Leipzig

Rekordstreik endet - und eskaliert: Nach einem halben Jahr geben die Streikenden in Espenhain auf

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Ein Transparent mit der Aufschrift „Dieser Betrieb wird bestreikt".

Quelle: Jan Woitas/dpa

Sie halten den Rekord: Ein halbes Jahr streiken die „Schrotter" der Schrott- und Recyclingfirma SRW in Espenhain südlich von Leipzig. Nun geben sie auf und zeigen sich gesprächsbereit. Doch der chinesische Eigentümer will nicht reden - sondern sie aussperren.

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Nach einem halben Jahr Streik haben die Streikenden bei der Firma SRW Metalfloat in Espenhain bei Leipzig aufgegeben. Sie würden am Montag (6. Mai) wieder zur Arbeit kommen, kündigte IG-Metall-Verhandlungsführer Michael Hecker an. „Wir gehen mit der Entscheidung einen gewaltigen Schritt auf den Arbeitgeber zu und können sagen, dass uns das nicht leichtfällt. Wir erwarten jetzt vom Arbeitgeber, dass gegebenenfalls mit externer Moderation ein Gesprächsprozess darüber beginnen kann, wie die Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen kollektiv und rechtssicher von den Sozialpartnern vereinbart werden können", sagte Hecker.

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Doch der Arbeitgeber, die chinesische Chiho Environmental Group, will die Langzeit-Streikenden nicht zur Arbeit lassen. Sie kündigt an, die Mitarbeiter auszusperren. Das ist ein im Streikrecht verankertes Mittel für Arbeitgeber in Tarifauseinandersetzungen - wurde aber laut IG Metall seit 40 Jahren in Deutschland nicht mehr angewendet.

Es geht nur noch ums Prinzip

Am Montag könnte es am Werkstor also zu unschönen Szenen kommen. Jenes Werkstor, für das sich die Bundespolitik in letzter Zeit so brennend interessiert, ist dunkel lackiert und öffnet sich manchmal, wenn Lkw hineinfahren und neues Metall für die Bagger bringen, die mit Greifarmen Autos, Omnibusse oder ganze Güterwaggons umherwuchten. Gregor Gysi war hier, die SPD-Chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken, der Ostbeauftragte der Bundesregierung Carsten Schneider - und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer.

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Aber die Politprominenz interessiert weniger, was hinter dem Tor in Espenhain bei Leipzig passiert. Sie will die treffen, die davor stehen: Die rund 80 Streikenden, mit Container, brennender Tonne und gelben Warnwesten. Jedenfalls standen sie hier. Ihren Posten haben sie geräumt. „Nach Ostern sind wir in eine andere Streikphase eingetreten", sagt Michael Hecker, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Leipzig. „Die Streikenden beteiligen sich aus dem Homeoffice." Man traf sich nur noch zweimal pro Woche zur Streikversammlung.

Die verfahrene Lage zeigt, dass es hier ums Prinzip geht, und nicht mehr nur um Gehaltserhöhungen, Weihnachtsgeld oder kürzere Arbeitszeiten. Auf dem Schrottplatz südlich von Leipzig wird eine viel grundsätzlichere Frage verhandelt, die lautet: Wie groß ist die Macht von Angestellten heute? Wird an einem dunkelgrünen Werkstor bei Leipzig eine neue Arbeitswirklichkeit ausgehandelt?

„Ihr müsst das durchstehen!"

Ein Montag vor einigen Wochen. Vor dem Container steht eine Zierpflanze, drinnen gibt es Kaffee, Würstchen und Kartenspiele. Die Streikenden haben ihren Posten wohnlich gemacht. Aber nun schauen alle nach draußen, wo ein kleines Podest für den hohen Besuch errichtet wurde. „Ihr müsst das durchstehen!", ruft Gregor Gysi den rund 80 Streikenden zu.

Viel Politprominenz bei den Dauerstreikenden von SRW metalfloat in Espenhain: Auch Gregor Gysi war schon da.

Quelle: Raik Schache

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Kathrin Kroll ist eine der Streikenden. „Wir sind es wert, nach Tarif bezahlt zu werden", sagt die Sortiererin. „Man erwirtschaftet einen Haufen Profit mit uns." Tatsächlich: Schrott lohnt sich. Altes Kupfer, Blei, Stahl oder Aluminium wird auf dem Recyclinghof der SRW gepresst, geschreddert, aussortiert und gewinnbringend weiterverkauft. Zum Beispiel an Volkswagen. Laut IG Metall verschaffte der Recyclinghof seinem Mutterkonzern jährlich Umsätze über Hunderte Millionen Euro.

Auch deshalb hat die IG Metall vier Forderungen für die Angestellten: 8 Prozent mehr Lohn, verbindliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld, 38 statt 40 Wochenstunden Arbeit und - das ist entscheidend - ein Tarifvertrag, in dem das alles steht. „Nur darüber lässt sich rechtssicher zwischen Arbeitgeber und Belegschaft verhandeln", sagt Streikführer Michael Hecker. „Sonst kann der Arbeitgeber jedes Jahr neu entscheiden, was er bezahlt."

Genau dagegen wehrt sich das Unternehmen. „Die Arbeitszeit wurde bereits reduziert, Weihnachtsgeld wurde immer gezahlt und die geforderte Lohnerhöhung hätte längst erfolgen können", sagt Unternehmenssprecher Frank Elsner. Aber ein Vertrag, der all das verbindlich festlegt? Der sei laut Elsner bloß IG Metall wichtig - und „eine ideologische Frage, weil er ihre Existenzberechtigung begründet".

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Schrott- und Recycling-Betriebs SRW stehen im Februar mit einem Banner vor dem Werk.

Quelle: Frank Schnelle/IG Metall/dpa

2380 Euro brutto im Monat

Etwas anders sieht das ein Mann, der gefühlt ein ganzes Leben mit Streiks zugebracht hat: Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft der Lokführer. Gerade bereitet er einen Streik im Chemnitzer Nahverkehr vor. Den Streik in Espenhain kennt er. „Mutig" und „nur richtig" findet es Weselsky, dass ein Teil der Beschäftigten auf einen Tarifvertrag besteht. „Ohne diesen könnte das Unternehmen ja alle zwölf Monate neu über Arbeitsbedingungen entscheiden", sagt er. „Offenbar möchten die Chefs dort allein bestimmen, wie der Gewinn zwischen ihnen und Arbeitnehmern aufgeteilt wird."

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Weselsky geht noch weiter: „Unternehmen, die sich in Deutschland einkaufen, haben sich an unsere Sitten und unsere Kultur zu gewöhnen", sagt er. „Niemand braucht zu glauben, Arbeitnehmer hier nach chinesischen oder amerikanischen Regeln behandeln zu können."

Die Sortiererin Kathrin Kroll ist seit 20 Jahren im Unternehmen. Nach ihren Angaben verdient sie 2380 Euro brutto im Monat, bei einem Stundenlohn von 13,72 Euro. Sie berichtet von körperlichen Schmerzen vom langen Stehen am Band. Von Metallstaub, der in der Luft glitzert, wenn die Sonne in die Werkshallen scheint.

Nach etwa zehn Jahren gründete sie den Betriebsrat mit. Aber wie verhandelt man Gehälter? Wie Urlaubstage? Das, sagt sie, habe sie ja nie gelernt. Also kontaktierte sie mit den anderen Betriebsräten die Gewerkschaft. „Wir haben die IG Metall mit reingeholt, weil uns die Expertise fehlte."

Wenig später, im Jahr 2016, bekam die Scholz Recycling einen neuen Eigentümer: Für einen symbolischen Euro wurde das Unternehmen an die Chiho Environmental Group Limited verkauft. Eine Firma mit Adresse im Steuerparadies Cayman-Inseln - und offiziellem Sitz in China. Ihr Chef: ein gewisser Yongming Qin.

Für einen Euro nach China verkauft

Der Kern des Streits von Espenhain könnte in China liegen. Sieben Jahre nach der Übernahme durch Qin begann der inzwischen längste Arbeitskampf.

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Wer ist der Chef Yongming Qin? Öffentliche Auftritte scheut er. Auf Presseanfragen antwortet er nicht. Auch Streikführer Michael Hecker gibt an, keinen Kontakt zu ihm zu haben. Die Verhandlungen über feste Tarife scheint Qin „aus ideologischen Gründen abzulehnen", so Hecker. „Er schädigt lieber den Ruf des Unternehmens und verbrennt Geld, anstatt sich mit uns auf Augenhöhe zu treffen." Hecker ist überzeugt, dass die SRW seit Streikbeginn keinen Profit mehr macht. Das Unternehmen bestreitet das.

Michael Hecker, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Leipzig, beim Streik auf dem Schrott-Recyclinghof SRW in Espenhain.

Quelle: André Kempner

Ende März gab nicht Qin, dafür aber die nächst tiefere Managementebene der „Leipziger Volkszeitung" ein Interview. „Der überwiegende Teil der Belegschaft, mehr als 100 Leute, arbeitet intensiv und fleißig", sagte darin der Espenhainer SRW-Geschäftsführer Thomas Müller. Man habe den Betrieb von drei auf zwei Schichten reduziert. Den Dauerstreik sehe er sogar als Chance: Das Fehlen eines Teils der Belegschaft sei Antrieb, das Unternehmen sogar „noch effizienter" aufzustellen.

Dass sich Politiker vor dem Werkstor mit Streikenden solidarisieren, bezeichnet Daniel Fischer, Finanzchef der Scholz Group, als „PR-Veranstaltungen", die „leider meist sehr einseitig" seien. „Ich glaube, es ist ein Stück weit den bevorstehenden Landtagswahlen geschuldet. Man versucht, sich auf dem Rücken der Streikenden zu profilieren."

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Der Finanzchef wünscht sich nur eines: einen Rückzug der IG Metall. So komme man „schneller zu fairen und pragmatischen Entscheidungen, als wenn zusätzlich zum Betriebsrat noch eine Gewerkschaft mit am Tisch sitzt". Die IG Metall, so Fischer, tue so, als „müsste die Tarifbindung quasi im Grundgesetz stehen".

Einen Monat nach Gysis Besuch lädt Carsten Schneider (SPD), Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland, ein Video bei Instagram hoch. Was er nicht häufig tut. Der Streik von Espenhain scheint ihm am Herzen zu liegen. Die „Schrotter", wie Schneider sagt, „arbeiten sehr hart." Und: „Sie wollen den gleich Lohn, den ihre Kolleginnen und Kollegen im Westen Deutschlands bekommen", das sei „ihr faires Recht".

Mitte April mischten sich abermals Politiker in den Streik in Espenhain ein - diesmal gleich 79 auf einmal. So viele Bundestagsabgeordnete von unter anderem SPD und Grünen unterschrieben einen offenen Brief, der die SRW metalfloat aufforderte, die Streikenden tariflich zu bezahlen. Weiter hieß es, das Bundeswirtschaftsministerium stünde zu dem Thema im Austausch mit der chinesischen Botschaft in Berlin.

SRW warf den Politikern inzwischen vor, „dem Konflikt eine diplomatische Dimension zu geben". Der Brief sei eine „inakzeptable Einmischung der Politik", während das „aggressive Verhalten der IG Metall aktuell keine Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit" biete.

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SPD-Chefin Saskia Esken betonte auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) abermals die Wichtigkeit des Streiks: „34 Jahre nach der Vereinigung liegt die Tarifbindung im Osten immer noch weit unter der im Westen", sagt sie. Ein Osten, der „für immer Billiglohnland" bleibt, wäre fatal und führe „nicht zu wirtschaftlichem Erfolg", sondern verschärfe Fachkräfteprobleme. Das beste Gegenmittel, so die Sozialdemokratin: Tarifbindung.

Auf die angekündigte Aussperrung reagiert IG-Metall-Verhandlungsführer Hecker schockiert. „Anstatt auf unsere ausgestreckte Hand zu reagieren, ist die Aussperrung ein Schlag ins Gesicht für die Beschäftigten von SRW", erklärt er. „Wir sind entsetzt, mit welcher Kälte und Verachtung unsere Kolleginnen und Kollegen von den Verantwortlichen bei Scholz Recycling und SRW behandelt werden."

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