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Auch in Gießen wird Lachgas konsumiert

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Stand: 06.05.2024, 10:30 Uhr

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Leere Kartuschen und Luftballons deuten auf Lachgaskonsum hin. Foto: Teresa Dapp/dpa © Teresa Dapp/dpa

Der Konsum von Lachgas kann erhebliche Nebenwirkungen haben. Auch in Gießen ist das Gas an vielen Stellen zu kaufen.

Gießen. Wer öfter in der Wieseckaue unterwegs ist, dem dürften die kleinen Metallbehälter an der einen oder anderen Stelle schon aufgefallen sein. Der Polizei hat sie auf jeden Fall registriert: »Wir haben uns anfangs immer gefragt, warum wir im Innenstadtbereich vermehrt Luftballons und kleine Kartuschen finden. Diese Behälter enthalten Distickstoffmonoxid, das als Lachgas bekannt ist, und sind überall legal zu erwerben. Denn eigentlich handelt es sich um ein Haushaltsmittel. Wir haben unsere Funde hinterfragt und dabei festgestellt, dass insbesondere Kinder und Jugendliche in den Pausen oder in den Nachmittagsstunden nach der Schule vermehrt Lachgas konsumieren«, berichtet Polizeihauptkommissar Dennis Mauer. »Die Beliebtheit von Distickstoffmonoxid erklärt sich durch seine leichte Verfügbarkeit, seine niedrigen Preise, seine kurzfristigen Auswirkungen und die allgemeine Wahrnehmung der Konsumenten, dass es eine relativ sichere und sozial akzeptable Droge ist«, führt das »European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA)« auf seiner Internetseite aus.

Zunehmend als Modedroge genutzt

Als Partydroge ist Lachgas ursprünglich nicht gedacht gewesen. »Eigentlich handelt es sich um ein Mittel, das beispielsweise in der Zahnmedizin oder in der Industrie eingesetzt wird. Unter anderem gibt es sogenannte Sahnekapseln, mit denen Distickstoffmonoxid eingesetzt wird, um Sahne zu stabilisieren. In der Medizin wird es als leichtes Narkosemittel genutzt, von dem man wegen der Nebenwirkungen aber zunehmend Abstand nimmt. In der Industrie dient es etwa Kühlmittel«, erläutert Mauer. In den letzten vier, fünf Jahre sei es jedoch bei Kindern und Jugendlichen zunehmend als Modedroge in Erscheinung getreten. »Lange Zeit hieß es, dass Cannabis die Einstiegsdroge ist - neben Alkohol. Im Rahmen meiner Recherche habe ich feststellen müssen, dass auch Lachgas mittlerweile ähnlich einer Einstiegsdroge gesehen werden kann, im jüngsten Alter schon«, weiß der Schutzmann vor Ort des Polizeipräsidiums Mittelhessen. Das Gas sei zur Partydroge geworden, die nicht nur von Jugendlichen oder Heranwachsenden konsumiert werde, sondern auch von Erwachsenen. Neben den kleinen Kartuschen gebe es Flaschen mit einem oder zwei Kilo Inhalt.

Konsumiert werde das Distickstoffmonoxid aus einem Luftballon, in den es vorab gefüllt wurde, oder aus der Kartusche selbst. »In dem Moment gibt es ein Entspannungsgefühl, ein Wärme- und Glücksgefühl. Es kann zu leichten Halluzinationen oder übermäßiger Euphorie kommen. Es gibt Parallelen zum Cannabisrausch. Aber in dem Moment, in dem ich das konsumiere, gibt es auch zahlreiche Nebenwirkungen. Das fängt mit Schwindel und milderen bis starken Kopfschmerzen an. Es können Taubheitsgefühle oder Gangstörungen durch die Halluzination entstehen. Ein Treppenabgang kann dann gefährlich sein. Im schlimmsten Fall kommt es zu Rissen im Lungengewebe. In Verbindung mit anderen Betäubungsmitteln oder dem vorherigen Konsum von Alkohol kann Distickstoffmonoxid zu starkem Blutdruckabfall, Bewusstlosigkeit und im schlimmsten Fall zum Tod führen«, erklärt der Hauptkommissar. Konsumiert werde beispielsweise auf Schulhöfen, in der Wieseckaue oder in Jugendtreffs.

Schädigungen des Nervensystems

Die Zahl derjenigen, die häufiger und über längere Zeiträume größere Mengen Gas konsumierten, sei gering, aber signifikant gestiegen. Bei einigen entwickele sich als Folge ein »problematischer Konsum«, teilt das »European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction« mit. »Der regelmäßige und intensive Konsum des Gases kann auch eine schwere Schädigung des Nervensystems verursachen (Neurotoxizität). Zu den Symptomen gehören zunächst in der Regel Parästhesie, das heißt ungewöhnliche Empfindungen, typischerweise Kribbeln oder Prickeln (»Nadelstechen«) in Händen, Armen, Beinen oder Füßen, die auch in anderen Körperteilen auftreten können. Dies kann durch eine Schädigung der sensorischen Nerven, die für die Übertragung von Empfindungen verantwortlich sind - wie Schmerzen und Berührung - verursacht werden und zu Taubheit führen. Zu den Schädigungen können auch Nerven gehören, die für die Kontrolle der Muskeln verantwortlich sind, was zu Muskelschwäche, Gleichgewichtsstörungen und Schwierigkeiten beim Gehen führt«, schreibt das EMCDDA. Die Schädigung könne sowohl das periphere Nervensystem als auch das zentrale Nervensystem, insbesondere das Rückenmark, betreffen. Sie könne zu einer Unfähigkeit zu laufen führen.

»In der Regel ist die Schädigung zumindest teilweise reversibel, insbesondere, wenn sie frühzeitig erkannt und behandelt wird. Einige Personen können sensorische oder funktionelle Schäden davontragen. Es wurden seltene Fälle einer dauerhaften Lähmung gemeldet«, so das Zentrum.

Nicht nur Lebensmittelmärkte sondern unter anderem auch Kiosks verkauften Lachgas. Ein zehnjähriges Kind könne dort Distickstoffmonoxid erwerben, was er beängstigend finde, betont der Schutzmann vor Ort. Er appelliert deshalb an Ladenbesitzer, zu hinterfragen, wenn Kinder Lachgas und Luftballons erwerben wollten.

Auch sei mehr Aufklärung nötig. »Es gibt Länder in der EU wie beispielsweise Frankreich, Dänemark oder die Niederlande, in denen die Kartuschen komplett verboten sind. Man müsste überlegen, ob man es ab 18 oder 21 verkauft, dann aber für Lebensmittelzwecke«, resümiert der Polizeihauptkommissar.

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