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Die Sehnsucht nach Merkel hält sich in Grenzen

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Altkanzlerin Merkel hat die Einladung zum CDU-Parteitag nicht angenommen. Die meisten Delegierten nehmen ihr das nicht übel, sehen auch keinen Bruch zur Ära Merkel. Doch es gibt auch Kritik.

1001 Delegierte, doch eine fehlt: Angela Merkel. Die Altkanzlerin hatte zwar eine Einladung zum CDU-Parteitag in Berlin erhalten, nahm sie aber nicht an. In der Rede von Friedrich Merz spielte Merkel keine Rolle. Weder nannte er sie namentlich, noch geriet der Vortrag zur Abrechnung mit ihrer sechzehnjährigen Kanzlerschaft. Ohne dezentes Absetzungssignal ging es allerdings auch nicht: Die CDU strebe mit dem neuen Grundsatzprogramm keine "Erneuerung um ihrer selbst willen" an, sondern "für eine bessere Politik".

Warum Merkel nicht kam, bleibt unklar. Es war wohl die Gesamtsituation: zum einen Merz, mit dem Merkel in jahrzehntelanger, gegenseitiger Abneigung verbunden ist. Zum anderen das neue Grundsatzprogramm, das man durchaus als inhaltliche Abkehr von der Ära Merkel verstehen kann.

Menschlich verständlich, aber dennoch ein bisschen enttäuschend, so äußern sich die meisten Delegierten im Gespräch mit ntv.de. "Ich finde es schade", sagt etwa der Niedersachse Fabian Heine, der in der Samtgemeinde Nenndorf in der Kommunalpolitik aktiv ist. "Ich hätte mir gewünscht, dass sie teilnimmt. Sie hat Deutschland maßgeblich geprägt und auch die CDU geprägt." Zugleich äußert Heine Verständnis: "Sie hat sich ja in den letzten Monaten auch bewusst zurückgezogen und von daher ist es, glaube ich, vielleicht auch einfach nur für sie konsequent."

"Es ist nicht in Ordnung, was sie jetzt macht"

Es gibt aber auch Kritik. "Ich finde, es gehört sich schon, dass man einem Nachfolger mit seiner Anwesenheit letztendlich Respekt entgegenbringt. Und das vermisse ich", sagt Norbert Hollermann aus NRW. "Es ist nicht in Ordnung, was sie jetzt macht, indem sie sagt: 'Ich verweigere diesen Parteitag total', das finde ich nicht gut", so der 67-Jährige.

Der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Raphael Tigges sagt dagegen, er finde es "einfach nur logisch", dass die Altkanzlerin nicht gekommen sei. Wäre sie da, "würde sich wirklich alle Aufmerksamkeit auf Angela Merkel richten", sagt Tigges - entsprechend weniger Aufmerksamkeit hätten der Parteivorsitzende Merz und die Europa-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen bekommen; die Europawahl wird an diesem Mittwoch im Mittelpunkt des Parteitags stehen.

Korrekturen oder Kurswechsel?

Merz hatte in seiner Rede allenfalls vorsichtige und indirekte Kritik an der Merkel-Zeit geübt. Der Gang in die Opposition habe der CDU "die Zeit verschafft, die wir gebraucht haben". Als Versäumnis der CDU in der Vergangenheit erwähnte er die Vernachlässigung der Bundeswehr, daran sei die CDU "nicht ganz unbeteiligt" gewesen. Vor Beginn des Parteitags hatte Generalsekretär Linnemann dieser Liste die Energie- und Migrationspolitik hinzugefügt. In der ARD sagte er, in Merkels Amtszeit seien in diesen Bereichen "Fehler" gemacht worden, die nun korrigiert würden. Als Distanzierung wollte er das nicht verstanden wissen: Die CDU müsse sich für die Ära Merkel im Rückblick aber auch "nicht wegducken".

Es war Linnemann, der Merkel zum Parteitag eingeladen hatte. Doch in der Reihe der Altvorderen fehlte sie. Dort saßen die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung Norbert Lammert, der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der frühere Unionsfraktionschef Volker Kauder und der frühere Bundespräsident Christian Wulff.

Die meisten befragten Delegierten verstehen das neue Grundsatzprogramm nicht als Abkehr von Merkel. "Alles hat seine Zeit und die letzten Jahre waren eben Merkel-Jahre und jetzt sind es Merz-Jahre", sagt die Delegierte Theresa Dietz. "Wir müssen gucken, wo wir stehen und wo wir hin möchten. Und deswegen müssen wir neue Antworten geben auf die Fragen der aktuellen Zeit. Das ist einfach das, was die CDU immer schon gemacht hat." Die CDU habe sich immer wieder neu erfunden und nach vorne geschaut.

"Das ist eine Weiterentwicklung"

Ihr Parteifreund Norbert Hollermann sieht durchaus einen neuen Kurs, hält diesen aber auch für richtig. Unter Merz sei die CDU im Vergleich zur Merkel-Zeit "eher christlich-demokratisch-konservativer" geworden. "Frau Merkel war zum Schluss ihrer Amtszeit eher linkslastig. Und das ist nicht das, was ich mir als Politik als Christdemokrat vorstelle."

Die frühere Bundestagsabgeordnete Gabriele Schmidt aus Baden-Württemberg dagegen sagt, es habe keinen Bruch mit Merkel gegeben. "Politik verändert sich immer", sagt die 68-Jährige. "Wir haben nicht mehr dieselben Verhältnisse, nicht mehr dasselbe Gesellschaftsbild wie vor siebzig Jahren und auch nicht vor dreißig Jahren. Es ist eine Weiterentwicklung. Das ist keine Abkehr, es gibt keine Merkel-Politik oder Merz-Politik. Es gibt nur CDU-Politik, die sich verändert und anpasst."

Ähnlich sieht es der 37 Jahre alte Landtagsabgeordnete Andreas Sturm aus Baden-Württemberg. "Ich denke, wir sollten nie von einer Abkehr sprechen, denn Abkehr hat immer so etwas Revolutionäres." Er sehe den Schritt zum neuen Grundsatzprogramm als "Evolution". Ein Parteitag sei so etwas wie ein Familientreffen, sagt Sturm. "Und deswegen schmerzt es schon, dass sie in der Familie nicht dabei ist."

"Ja, sie fehlt"

Auf die Frage, ob Merkel fehle, entgegnet Theresa Dietz, das würde sie nicht sagen: "Das ist jetzt einfach ein Abschnitt, der vorbei ist. Niemand möchte die Zeit mit ihr missen." Dietz sagt, sie sei in die CDU eingetreten, als Merkel Kanzlerin war, und habe ihre Politik sehr geschätzt. Wirklich nostalgisch klingt die junge Frau trotzdem nicht: Die aktuelle Zeit sei gerade für junge Leute in der CDU spannend, "weil man erstmalig einen Aufbruch mitbekommt, den man so noch nie mitbekommen hat". Es sei "eine Riesenchance für junge Leute, sich jetzt aktiv einzubringen, gerade im Prozess um das Grundsatzprogramm".

"Ja, sie fehlt", sagt dagegen Gabriele Schmidt. "Sie fehlt uns insgesamt im Land. Aber wir haben eine andere Regierung. Sie hat von der aktuellen Politik Abschied genommen." Ob Merkel zum Parteitag komme, sei aber nicht so entscheidend.

Irritiert hat viele in der CDU, dass Merkel keine Zeit für einen Besuch auf dem Parteitag findet, aber in einer Woche eine Laudatio auf Jürgen Trittin hält, wenn dieser von der Grünen-Fraktion verabschiedet wird - ausgerechnet auf Trittin, der auch in den vergangenen Zeiten schwarz-grüner Annäherung für viele CDU-Politiker ein rotes Tuch war. Fabian Heine aus Niedersachsen hält die Entscheidung zwar für nachvollziehbar. Er sagt aber auch: "Ich finde, trotz all dem und vielleicht doch bei all der Kritik, die sie jetzt im Nachhinein noch einstecken musste, wäre es einfach ein fairer Umgang gewesen, wenn sie bei der einen oder anderen Sache sich mehr der CDU zuwendet."

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