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Angeklagter im "Reichsbürger"-Prozess: "Die Idee fand ich gut"

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Stand: 06.05.2024 21:19 Uhr

Erstmals hat im "Reichsbürger"-Prozess um Mitglieder der Reuß-Gruppe einer der Angeklagten ausgesagt. Von Mord- und Umsturzplänen will er nichts gewusst haben. Ihm sei es um Katastrophenschutz gegangen

Um 20 nach neun am Morgen ging es los im Hochsicherheitsgericht in Stuttgart Stammheim. Sofort wurde klar: Der Vorsitzende Richter wollte zu Beginn möglichst wenig Geplänkel: Schließlich hatte der Angeklagte Wolfram S. angekündigt, heute zu den schwerwiegenden Vorwürfen gegen ihn auszusagen. Eine Aussage, die das Gericht auf keinen Fall gefährden und deshalb schnell zur Sache kommen wollte.

Es war der zweite Prozesstag im Verfahren um den sogenannten militärischen Arm der mutmaßlichen terroristischen Vereinigung rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß, die der Szene der "Reichsbürger"-Szene zugerechnet wird. Vor einer Woche hatte in Stuttgart der erste von insgesamt drei Prozessen rund um die Gruppe begonnen.

Es ist eines der größten Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Während am ersten Prozesstag die Anklage verlesen wurde und sich alles um die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft drehte, hatte nun also einer der Angeklagten das Wort.

Anklage: Aufbau der IT-Struktur

Es ging am Montag um Wolfram S. Die Anklage wirft dem 55-Jährigen vor, eine IT-Struktur für die terroristische Vereinigung aufgebaut zu haben. Er habe Laptops für die Mitglieder besorgt und die Geräte zuvor mit Verschlüsselungstechnik und sicheren Messengerdiensten ausgestattet, um sie vor dem Zugriff des Staates zu schützen.

Außerdem habe er eine Datenbank für die "Heimatschutzkompanien" aufgestellt, die dann für "Säuberungen" - also Tötungen - in ganz Deutschland sorgen sollten. Wie alle Mitglieder habe er die Verschwiegenheitserklärung der Gruppe unterschrieben und den politischen Umsturz Deutschlands gewollt.

Wolfram S.: Interesse an Krisenvorsorge

Zwei Stunden sprach Wolfram S. zunächst über sein Leben, das Verhältnis zu seinem verstorbenen Vater und zu seiner Mutter, die - von einer Glasscheibe getrennt - im Zuschauerraum saß und zuhörte, was ihr Sohn erzählte. Schon in seiner Kindheit habe er sich stark für Elektronik interessiert. Später habe er Sensorsytemtechnik in Karlsruhe studiert.

Bis zu seiner Festnahme im Dezember 2022 sei er als Elektroniker fest angestellt und nebenbei noch als selbstständiger Fotograf tätig gewesen. Schon immer habe er sich für Katastrophenschutz und Krisenvorsorge interessiert und die Sorge gehabt, es könne mal zu einem Stromausfall in Deutschland kommen oder einer anderen Katastrophe.

Zum einen habe ihm das sein Vater mitgegeben, der ähnliche Sorgen gehabt habe. Zum anderen habe er als Elektroniker gewusst, dass "die Systeme extrem anfällig" seien.

"Heimatschutzkompanien" in ganz Deutschland

Sein zweites großes Thema, über das Wolfram S. lange und mit Überzeugung sprach: die digitale Souveränität im Internet. Immer habe er sich in seinem Bekanntenkreis dafür eingesetzt, sichere Kommunikationswege zu nutzen und Daten zu schützen. Seine Vision: ein eigenes soziales Netzwerk mit realem Treffpunkt. "Dorfcafé" nannte er das.

Diese beiden Themen seien es gewesen, die zum Kontakt mit den Mitangeklagten geführt hätten, erzählte der 55-Jährige dann nach der Mittagspause. Er habe es gut gefunden, dass sich auch andere auf einen Systemzusammenbruch vorbereiten und einen systematischen Katastrophenschutz organisieren wollten. Mit "Heimatschutzkompanien" in ganz Deutschland.

Warten auf einen "Tag X"

"Die Idee fand ich gut", sagte Wolfram S.. Das sei nah an seinen Vorstellungen gewesen. Deshalb habe er sich bereit erklärt, mitzumachen. Man habe ihm einen konkreten "Tag X" genannt, an dem eine Allianz - wohl bestehend aus den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs - kommen werde und dann einen Friedensvertrag für das bisher nicht souveräne Deutschland aushandeln würde. Ob das alles so stimmen könne, habe er nicht gewusst und nicht überprüfen können, aber zumindest für möglich gehalten.

Das Gericht muss erst am Ende des langen Prozesses ein Urteil fällen. Aber schon heute ließ sich in den Fragen heraushören: Für so richtig glaubhaft hielten die Richterinnen und Richter das nicht, was Wolfram S. da erzählte. "Sie sind doch ein intelligenter Mensch, denken über vieles nach. Warum gerade darüber nicht?", fragte der Vorsitzende Richter bezüglich der Ausführungen zur "Allianz".

Richter hakte mehrmals nach

Auch als Wolfram S. immer wieder betonte, es sei ihm nur um den Schutz der Bevölkerung gegangen, hakte der Vorsitzende Richter nach: Bei den Treffen sei es doch auch um Waffen gegangen, in den Fragebögen zur Gewinnung weiterer Freiwilliger für die "Heimatschutzkommandos" sei es ebenfalls darum gegangen, wer welche Erfahrungen mit Waffen habe und ob es für die Angeworbenen eine Herausforderung sei, mit Verstorbenen umzugehen. 

Das habe ihn nicht verwundert, erklärte Wolfram S. Man habe ihm schließlich erzählt, dass man sich mit der Bundeswehr und der Polizei zusammenschließen wolle. Und die Bundeswehr habe nun mal Waffen. Und auch der Wehrpass für eine neue deutsche Armee, den die Gruppe ihm vorlegte, habe ihn nicht misstrauisch gemacht. Das könne an seiner "fehlenden Allgemeinbildung liegen". Auch für Politik und Geschichte habe er sich nie interessiert.

"Die Idee fand ich ja trotzdem gut"

Am späten Nachmittag berichtete Wolfram S. davon, wie der in der Gruppe vorhergesagte "Tag X" einfach verstrichen sei, ohne dass irgendwas passiert sei. Da habe er sich schon mal gefragt, "was er da eigentlich mache". Aber so richtig losgelöst habe er sich dennoch nicht von der Gruppe: "Die Idee der "Heimatschutzkompanien" fand ich ja trotzdem gut."

Am Mittwoch steht der nächste Prozesstag an. Bis in den Januar 2025 hat das Oberlandesgericht Stuttgart bisher Termine für die Verhandlung angesetzt. Beobachter rechnen damit, dass es noch deutlich länger dauern dürfte.

Neben dem Prozess in Stuttgart wird es zwei weitere Prozesse gegen die Gruppe rund um Prinz Reuß geben. In Frankfurt am Main beginnt am 21. Mai die Verhandlung gegen die Führungsmitglieder der mutmaßlichen terroristischen Vereinigung. Ein dritter Prozess wird im Juni in München beginnen.

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