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"Mit Verlaub, das ist Unsinn"

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Ex-Eon-Aufsichtsrat zum AKW-Aus "Mit Verlaub, das ist Unsinn"

05.05.2024, 08:18 Uhr Artikel anhören

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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck steht politisch unter Druck, sein Ministerium habe die Öffentlichkeit falsch informiert, um den Atomausstieg Deutschlands zu besiegeln. Er verweist darauf, die Energie-Industrie sei mit ihm auf einer Linie gewesen. Dem widerspricht nun der Ex-Aufsichtsratsvorsitzende von Eon im ntv-Interview.

ntv.de: Herr Kley, das Magazin "Cicero" hat Dokumente veröffentlicht, die belegen sollen, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck entgegen seiner öffentlichen Zusicherung im Frühjahr 2022 die Frage des Weiterbetriebs von Kernkraftwerken nicht ergebnisoffen geprüft hat. Sie sind zwar vor zwölf Monaten bei Eon ausgeschieden, waren aber zu der Zeit Aufsichtsratsvorsitzender des Energieriesen. Wie stehen Sie zu den Schlussfolgerungen des "Cicero"?

Karl-Ludwig Kley: Was der "Cicero" da herausgefunden hat, überrascht mich nicht. Es entsprach und entspricht voll und ganz meiner Wahrnehmung.

Worauf beruht denn Ihre Wahrnehmung?

Aus meinen Beobachtungen im Jahr 2022. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Mit Datum vom 7. März 2022 veröffentlichten Bundeswirtschafts- und Bundesumweltministerium einen sogenannten Prüfvermerk, auf dessen Basis sie eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke nicht empfehlen könnten. Zusammengefasst steht da drin, dass erstens deren 4,4 Gigawatt Kraftwerksleistung keinen relevanten Beitrag zur Energieversorgung leisten würden. Und zweitens, dass aufgrund der regulatorischen und technischen Hindernisse die Laufzeitverlängerung gar nicht möglich sei. Mit Verlaub, beides ist Unsinn.

Wieso?

4,4 Gigawatt sind eine außerordentlich relevante Menge. Damit hätten zum Beispiel die CO2-Emissionen der Kohlekraftwerke um mindestens 15 Millionen Tonnen verringert werden können. Und die Stromkosten wären auch niedriger ausgefallen. Kernkraftwerke produzierten Strom für knapp unter zwei Cent pro Kilowattstunde (kWh), Gaskraftwerke mit gewissen Schwankungen für ungefähr das Zehnfache. Wenn das nicht relevant ist, weiß ich auch nicht weiter.

Aber was ist mit den regulatorischen und technischen Hindernissen?

Auch hier nur beispielhaft und in aller Kürze. Die Behauptung, zusätzliche Strommengen könnten erst mit frischen Brennstäben produziert werden, stimmte nicht. Der Betrieb im Winter 2022/23 konnte ohne frische Brennelemente erfolgen - was er dann ja auch während der dreimonatigen Verlängerung tat. Ein Betrieb von einigen weiteren Monaten wäre, zumindest beim Kernkraftwerk Isar, mit einem neu zusammengesetzten Reaktorkern möglich gewesen. Und dann hätte man bereits über neue Brennelemente verfügen können. Ein anderes Beispiel: Eine sogenannte periodische Sicherheitsprüfung hielten die Ministerien zwingend für notwendig. Das sehe ich völlig anders. Denn eventuelle Sicherheitsrisiken würden bei den sowieso laufenden kontinuierlichen Prüfungen sofort entdeckt werden. Sowohl relevante Vertreter der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit als auch der TÜV-Verband sind meiner Meinung; ich befinde mich also in bester Gesellschaft.

Haben Sie das den Ministerien denn nicht so gesagt?

Und ob. Eon hatte eine sehr klare Position. Die hieß: Die Entscheidung, Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen, ist keine technische Frage, sondern eine politische. Technisch würde Eon alles möglich machen, die politische Entscheidung müsse aber einzig und allein auf der Ebene der Bundesregierung fallen. Je früher sie fiele, desto besser wäre es. Denn in Vorleistungen würde Eon nicht treten. Diese Position wurde den beteiligten Ministerien gegenüber vielfach kommuniziert.

Aber nicht laut genug, oder?

Da haben Sie sicher einen Punkt. Es gab ja im Herbst 2022 noch mal eine vergleichbare Situation, als ein sogenannter Stresstest für die Stromversorgung durchgeführt wurde. Der zeigte, dass man die Kernkraftwerke sehr wohl noch brauchte. Das Ergebnis gefiel dem Wirtschaftsministerium natürlich nicht. Sie bogen daraufhin mit dem Konzept der Kernkraftwerke als Einsatzreserve um die Ecke, sie also je nach Bedarf ein- oder auszuschalten. Ein Kernkraftwerk ist aber kein Toaster. Da dem Ministerium diese Idee nicht auszureden war, blieb nichts anderes übrig, als einen Brief zu schreiben. Dann war der Plan schnell vom Tisch. Und Herr Habeck erläuterte später dazu, Eon hätte seine Idee bloß falsch verstanden. Na ja. Eon hätte mehr Briefe schreiben sollen. Die Vertreter der Energiewirtschaft insgesamt hätten sich in den politischen Diskussionen klarer und deutlicher positionieren müssen, anstatt möglichen Konflikten vorschnell auszuweichen.

Was nun?

Das Thema Kernkraft ist in Deutschland wahrscheinlich erst einmal durch. Ich selbst halte das angesichts der Kombination von Ukrainekrieg, Wirtschaftskrise und Energiewende für verantwortungslos. Aber so ist es nun einmal. Wir sollten trotzdem auf jeden Fall in Sachen Kernkraft in der Forschung aktiv bleiben. Natürlich kann niemand wissen, ob modulare Reaktoren, Druckwasserreaktoren der nächsten Generation oder die sogenannten Dual Fluid Reactors gute Lösungen für die Zukunft sind. Auch wissen wir noch nicht, wann und wie die Kernfusion einen Beitrag leisten kann. Aber auf jeden Fall müssen wir dranbleiben. Wer Technologien von vornherein ausschließt, verspielt die Zukunft.

Haben Sie einen Rat an Herrn Habeck?

Das steht mir nicht zu. Was ich allerdings nicht verstehe, ist, warum er nicht einfach sagt, er wollte eben absolut keine Kernenergie. Und deshalb kam eine Zustimmung zum Weiterbetrieb für ihn nie infrage. Das wäre die Wahrheit. Und dann bräuchte er jetzt auch nicht alle möglichen Mails und Protokolle rauf und runter zu interpretieren.

Mit Karl-Ludwig Kley sprach Wolfram Weimer

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