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"Es gibt eine Daseinsberechtigung für Esprit"

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Sanierer im Interview "Es gibt eine Daseinsberechtigung für Esprit"

18.05.2024, 10:15 Uhr Artikel anhören

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Die Pleitewelle in der Modebranche in Deutschland geht weiter. Die Kette Esprit hat für Ihre Europa-Holding und sieben weitere Gesellschaften Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet. Es ist das zweite Insolvenzverfahren für Esprit innerhalb von vier Jahren. Bereits in der Corona-Pandemie hatte sich die Modekette unter den Schutzschirm des Insolvenzrechts geflüchtet, rund ein Drittel der Belegschaft entlassen und 100 Filialen geschlossen. In den von der neuerlichen Insolvenz betroffenen Firmen arbeiten noch 1500 Mitarbeiter.

Als Sanierer hat Esprit die Insolvenzexperten Christian Gerloff und Christian Stoffler an Bord geholt, die sich vor allem in der Modebranche (Escada, Gerry Weber, Adler Modemärkte) bei Restrukturierungen einen Namen gemacht haben.

Für Esprit ist es das zweite Insolvenzverfahren innerhalb von vier Jahren. Wie schlecht steht es um das Unternehmen?

Christian Gerloff: In der Tat ist es das zweite Insolvenzverfahren, nachdem das erste in der Pandemiezeit 2020 eingeleitet wurde. Das waren besondere Umstände. Man hat damals versucht zu sanieren. Danach kamen aber weitere Impacts für die gesamte Branche, beispielsweise die Kaufzurückhaltung angesichts des Ukraine-Kriegs und der Inflation. Das hat sich auch bei Esprit ausgewirkt. Hinzu kommen eigene Fehler im Unternehmen, etwa was die Fokussierung auf das Produkt, Entscheidungswege, Geschwindigkeit und Effizienz betrifft. Das hat im Gesamtergebnis dazu geführt, dass wieder ein Insolvenzantrag gestellt werden musste. Wir wollen aber die Chance nutzen, um einen richtigen Schritt zu gehen und eine grundlegende Sanierung durchzuführen.

Was läuft denn konkret schief bei Esprit?

Das sind wie gesagt mehrere Faktoren. Einmal sind es die äußeren Faktoren mit allen Impacts, die aus der Corona-Krise kamen. Hinzu kam die Kaufzurückhaltung im Ukraine-Krieg. Außerdem ist schon länger ein Umsatzrückgang zu spüren. Das ist immer ein Zeichen dafür, dass das Produkt am Markt vielleicht doch nicht so ankommt. Und man muss auch sehen: Jede Marke hat ein Markenleben. Auf Neudeutsch würde man sagen: "Die ist hip und nimmt eine Generation mit." Aber die Befürchtung ist auch immer, dass sie mit der Generation wieder ausstirbt. Und deshalb muss sich eine Marke immer wieder neu erfinden. Und Esprit ist in einer Situation, wo der Punkt erreicht ist, sich wieder neu zu erfinden - um wieder hip zu werden und neue Käuferschichten zu erschließen.

Bereits vor der Corona-Pandemie hat der Umsatz geschwächelt. Hätte man nicht damals schon grundsätzlichere Veränderungen anstoßen müssen?

Das kann man hinterher immer sagen. Und das Ergebnis heute, an dem wir stehen, gibt der These sicherlich recht, dass man hätte etwas tun müssen. Es hilft bloß heute nichts, darüber zu philosophieren, ob man vor drei, vier oder fünf Jahren hätte gegensteuern müssen. Wir müssen die Situation, so wie sie heute ist, annehmen und müssen etwas daraus machen, um die Marke zu retten und Esprit wieder dorthin zu bringen, wo es hingehört. Es gibt eine Daseinsberechtigung für die Marke.

Wie wollen Sie Esprit sanieren?

Wir werden uns alle Vertriebskanäle anschauen. Das ist der Wholesale [Großhandel] mit verschiedenen Partnern. Das ist der eigene Retail [Einzelhandel] mit eigenen Stores, und das ist der stärkste bei Esprit, der Onlinehandel. Das müssen wir uns anschauen und herausfinden, wo Verlustbringer sind. Wir werden dafür sicherlich einen Partner brauchen, der Esprit aus der Krise hilft. Ohne den wird es nicht gehen.

Esprit reiht sich in eine lange Liste von kriselnden Modeanbietern ein. Wie tief steckt die Branche in der Krise?

Die Vielzahl der Insolvenzen in diesem Bereich zeigt ja, dass die gesamte Branche in einer großen Krise steckt. Wir selbst durften schon mehrere Unternehmen auch in Insolvenzen und in Krisensituationen begleiten. Die Probleme sind überall gleich, die äußeren Umstände sind sehr, sehr schwierig. Es gibt eine Veränderung im Hinblick auf Digitalisierung und Onlinehandel. Es gibt auch zu wenig Fokussierung auf die Produkte. Wir haben in Deutschland relativ viele alte Marken - mit dem erwähnten Markenleben. Oft wurde versucht, das Heil im Onlinehandel zu finden. Man muss dazu sagen, Onlinehandel ist zwar wichtig, aber es gibt nicht sehr viele Online-Stores, die profitabel sind. Insbesondere der stationäre Einzelhandel hat aus meiner Sicht ein Stück weit vergessen, sich auf sein eigenes Geschäft zu konzentrieren und das moderner zu gestalten. Und das heißt insbesondere, den Einkauf mehr zum Erlebnis zu machen. Es geht nicht mehr rein um Bedarfsdeckung. Sie gehen heutzutage nicht in die Innenstadt und sagen: Ich brauche etwas. Das gibt es zwar auch noch, aber nicht mehr in dem Maße wie früher. Sie wollen Entertainment. Sie wollen ein Einkaufserlebnis haben, und das wird zu wenig geboten.

Werden wir in Zukunft noch weitere Insolvenzen von Modeanbietern sehen?

Wir werden eine Konsolidierung erleben. In den letzten 30 Jahren kamen viele neue Anbieter auf den Markt, die Verkaufsfläche weitete sich stark aus - sowohl in den Innenstädten, als auch in Einkaufszentren, als auch in Outlet-Centern. Es wurde überexpandiert. Doch auch in Zukunft wird es den stationären Einzelhandel und es wird Fashion-Anbieter geben. Online- und stationäre Einzelhandel werden sich verbinden. Insofern werden wird noch eine Krisenphase erleben, doch sie wird irgendwann enden. Auch wenn man immer wieder sagt, dass Innenstädte teilweise aussterben: Ich bin ganz optimistisch, dass wir in fünf Jahren dort eine Gründerszene sehen, dass sich etwas Neues, Spannendes entwickelt. Die Geduld sollten wir haben. Für den Verbraucher wird es sicherlich ganz interessant werden.

Mit Christian Gerloff sprach Rogatus Skanta. Das Interview wurde zur besseren Lesbarkeit gekürzt und geglättet.

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